Wenn die Führungskräfte toxisch sind, helfen auch Initiativen zum Team Wohlbefinden nicht

Unternehmen behaupten, dass sie ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wertschätzen. Mit der Pandemie und ihren Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen sind die Herausforderungen für die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz jedoch in ein neues Licht gerückt.

Mit Schlagwörtern wie „sinnorientiert“, „Nachhaltigkeit“, „soziale Verantwortung“, „Achtsamkeit“ und anderen versuchen Unternehmen nun, Talent anzuziehen und ihre Fürsorge zu demonstrieren.  Infolgedessen haben eifrige Anhänger neuer Arbeitskonzepte flachere Hierarchien für mehr Mitarbeiterbeteiligung, Work-Life-Balance-Programme, Yogakurse für Mitarbeiter, offene Kreativitätsräume zur Förderung zwangloser Begegnungen mit Kollegen, Team-Lunches und kreative Ausflüge im Namen des Wohlbefindens der Mitarbeiter geschaffen. Doch leider sieht die Realität in vielen Unternehmen noch immer anders aus.

Im Schatten des so „achtsamen“ Arbeitsumfelds gedeihen noch immer toxische Kulturen, in denen schlechte Kommunikation, Konfliktunfähigkeit, unerwünschte Verhaltensweisen und Manager, die sich nicht an die Regeln halten, die Norm sind.

Insbesondere Managementstile wie Mobbing sind in Organisationen, in denen das kulturelle Mandat die Mächtigen schützt, Geld die Ethik bestimmt und in denen es keine Rechenschaftspflicht gibt, immer noch üblich.

Mobbing oder auch Bullying genannt,  ist eine anhaltende Form von toxischem Verhalten und psychologischem Missbrauch, der folgende Formen annehmen kann:

  • Unfaire Behandlung.
  • Mitarbeiter in der Öffentlichkeit dumm dastehen lassen.
  • Übermäßiges Mikromanagement, anmaßende Überwachung oder sonstiger
  • Missbrauch von Macht oder Position.
  • Ignorieren oder ausgrenzen von Mitarbeitern.
  • Unerfüllbare Aufgaben stellen oder Mitarbeiter zum Scheitern verurteilen.
  • Verbreitung von böswilligen Gerüchten oder Klatsch und Tratsch.
  • Erteilen von sinnlosen Aufgaben oder unangenehmen Tätigkeiten.
  • Herabsetzende Bemerkungen, Beschimpfungen und Schuldzuweisungen vor den
  • Augen anderer.
  • Untergraben von Integrität.
  • Absichtlich Informationen vorenthalten.
  • Unterbewertung des Beitrags von Angestellten – keine Anerkennung, wo sie fällig ist.
  • Ausgrenzung oder Viktimisierung.
  • Unerwünschte sexuelle Annäherung; Berührungen, zu nahes Herantreten, Zeigen von

anzügliche Materialien. Bitten um sexuelle Gefälligkeiten. Entscheidungen treffen, die davon abhängen, ob sexuelle Annäherungsversuche angenommen oder abgelehnt werden.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Unternehmensberatung McKinsey eine Studie, aus der hervorging, dass toxisches Verhalten die wichtigste Vorhersagevariable für negative Auswirkungen auf Mitarbeiter ist, einschließlich Burn-out-Symptomen, Depressionen, Appetitlosigkeit, Angstzuständen und geringem Selbstwertgefühl. Laut der Umfrage gab jeder vierte Befragte zu, toxischem Verhalten am Arbeitsplatz ausgesetzt zu sein. Ausgewählte Fragen aus dieser Dimension umfassten die Zustimmung zu den Aussagen „Mein Vorgesetzter macht mich lächerlich“, „Ich arbeite mit Leuten zusammen, die meine Ideen herabsetzen“ und „Mein Vorgesetzter setzt mich vor anderen herab“. In 60-80 Prozent dieser Mobbingfälle werden Vorgesetzte als Täter identifiziert.

Eigenschaften wie Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie sind Merkmale, die diesen toxischen Personen mit der Unterstützung ihrer Kollegen in der Führungsetage häufig helfen, „an die Spitze zu kommen“. Um sich vor toxischen Vorgesetzten zu schützen, beginnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich zurückzuziehen. Wenn sie unter Druck stehen und Angst haben, erscheinen sie erst gar nicht am Arbeitsplatz, leisten keinen konstruktiven Beitrag und kümmern sich nicht mehr um Qualität. Das sogenannte „quiet quitting“ ist ein Phänomen, das zu niedrigen Leistungen und steigenden Fluktuationsraten führt, die die Unternehmensgewinne beeinträchtigen. Laut McKinsey führt dieses „stille Kündigen“ zu einer „beispiellosen Mitarbeiterfluktuation“ und kostet der Wirtschaft weltweit Milliarden. Folglich haben Unternehmen einen schweren Stand, wenn sie versuchen, gegen das steigende Burn-out und die Depressionen unter ihren Mitarbeitern vorzugehen und sich mit gut gemeinten Wohlfühl-Initiativen aus der Affäre zu ziehen. Solange sie keine systemischen Veränderungen vornehmen und toxisches Verhalten in ihrer Organisation nicht angehen, sind diese Maßnahmen zum Scheitern verurteilt. Nur wenn das Niveau des toxischen Verhaltens niedrig ist, zeitigen Initiativen zum Mitarbeiterwohlbefinden die erwartete Wirkung auf die Motivation und das Engagement des Personals, so McKinsey.

Der beste Weg für Unternehmen, gesunde Organisationen und engagierte Teams zu fördern, besteht darin, unerwünschte Verhaltensweisen an der Wurzel zu packen und toxische Führungskräfte nicht mit ihrem Verhalten davonkommen zu lassen. Regelmäßige Bewertungen und die aktive Einholung von Angestelltenfeedback über die Effektivität der Führung mittels Umfragen helfen Unternehmen, einen Einblick in ihre Organisationskultur zu gewinnen. Vorstände und Anteilseigner sollten regelmäßig prüfen, ob die Führungskräfte ein positives Verhalten vorleben, das sie bei ihren Mitarbeitern sehen möchten. Sind sie immer ein gutes Vorbild? Sind sie in ihrer Kommunikation unmissverständlich? Haben sie mit jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin die Rolle und die Verantwortlichkeiten geklärt und wie sie sich in das Gesamtbild des Unternehmens einfügen? Geben sie regelmäßig konstruktives Feedback, damit die Angestellten genau wissen, was sie tun müssen, um besser zu werden? Sorgen sie dafür, dass unerwünschte Verhaltensweisen wie Klatsch, Belästigung und Demütigung unterdrückt und sofort geahndet werden? Loben sie, wenn Lob fällig ist? Stellen sie ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen das richtige Arbeitsumfeld, die richtigen Werkzeuge und Ressourcen zur Verfügung, damit sie gute Leistungen erbringen können? Hören sie ihrem Personal aufmerksam zu? Nehmen sie sich Zeit und bieten sie Raum, um deren Anliegen zu respektieren? Handeln sie stets mit Integrität und Vertraulichkeit?

Solide Verhaltensvereinbarungen im Unternehmen und vertrauliche Feedback- und Meldesysteme, bei denen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen  ohne Angst vor Repressalien über schädliches Verhalten berichten können, unterstützen die Gesundheit der Organisation.

Angestellte von toxischen Selbständigen in mittelständischen Unternehmen sind in der Regel stärker gefährdet und haben wenig organisatorische Unterstützung, an der sie sich festhalten können. Sie müssen eine positive Absicht unterstellen und ihre eigene emotionale Intelligenz nutzen, um das Problem mit ihrem Vorgesetzten anzusprechen und ein klares Gespräch zu führen, sachlich, ruhig und mit professionellem Auftreten, um nicht selbst in toxisches Verhalten zu verfallen.  Es ist wichtig zu verstehen, dass der Führungsstil des Vorgesetzten nicht ihr eigenes Verhalten widerspiegelt, sondern das ihres Vorgesetzten. Was für einen toxischen Chef „wahr oder real“ zu sein scheint,  muss keine Tatsache sein. Angestellte, die dies erkennen, können versuchen, die Perspektive zu wechseln und in einem Gespräch zu erklären, wie sich die Handlungen der mobbenden Person auf ihre Arbeitsleistung auswirken. Manchmal sind sich Mobber nicht bewusst, wie sich ihr Verhalten auf andere auswirkt. Zu den Bewältigungsstrategien gehören der Aufbau von Unterstützungsnetzen innerhalb der Organisation mit Kollegen, die mit ähnlichen Situationen zu tun haben, und die Inanspruchnahme von Ratschlägen der Personalabteilung. In extremen Fällen sollten  Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rechtliche Unterstützung in Anspruch nehmen.

Gute Führungskräfte wissen, dass ihre Angestellten nur dann gute Leistungen erbringen können, wenn sie über die nötige geistige Energie, Konzentration und Motivation sowie die entsprechenden Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um gute Arbeit zu leisten. Sie wissen, dass das individuelle Wohlbefinden untrennbar mit organisatorischen Ergebnissen wie Produktivität, Effizienz, finanziellem Erfolg und Mitarbeiterbindung verbunden ist. Sie wissen, dass das individuelle Wohlbefinden einen Einfluss auf das künftige Engagement Einzelner und auf Veränderungen des Mitarbeiterengagements insgesamt hat, da Teams ihren Arbeitsplatz eher als positiv, produktiv und einnehmend empfinden.

Um Führungskräfte dabei zu unterstützen, gesunde Organisationen zu fördern und die Hauptursachen für Stress, Fehlzeiten und Personalfluktuation zu bekämpfen, hat beispielsweise die britische Gesundheits- und Sicherheitsbehörde Health and Safety Executive Standards festgelegt, die beachtet werden müssen.

Diese Standards decken sechs Schlüsselbereiche der Arbeitsgestaltung ab:

  • Anforderungen – dazu gehören Themen wie Arbeitsbelastung, Arbeitsrhythmus und Arbeitsumgebung.
  • Kontrolle – wie viel Mitspracherecht hat die Person bei der Art und Weise, wie sie ihre Arbeit verrichtet.
  • Unterstützung – dazu gehören die Ermutigung, die Förderung und die Ressourcen, die von der Organisation, dem Vorgesetzten und den Kollegen bereitgestellt werden.
  • Beziehungen – dazu gehören die Förderung einer positiven Arbeitsweise zur Vermeidung von Konflikten und der Umgang mit inakzeptablem Verhalten.
  • Rolle – ob die Mitarbeiter ihre Rolle innerhalb der Organisation verstehen und ob die Organisation sicherstellt, dass sie keine Rollenkonflikte haben.
  • Veränderung – wie organisatorische Veränderungen (große oder kleine) gehandhabt und in der Organisation kommuniziert werden.

Das erfolgreiche Management dieser Standards unterstützt das individuelle Wohlbefinden von Angestellten und die Schaffung einer langfristig gesunden Organisation.